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N o s t a l g i e   I s t a n b u l   O r i e n t   E x p r e s s



Nostalgie Istanbul Orient Express Istanbul - Muenchen, WL UH, Rheingold-Salon, Pullman, Zorneding Oct. 1988 (WS)


Muenchen Hauptbahnhof. Hier hatte der Schuljunge zum ersten mal den Orient-Express gesehen, grau, beinahe unscheinbar, um 1950, zwischen den drei Sitzwagen dunkelblau der Speisewagen und der eine unnahbare Schlafwagen, bloß nach Wien... Hier waren spaeter der Orient- und der Tauern-Express nach Bukarest oder nach Istanbul und Athen im Nebel entschwunden (und der silbrigblondeTraum aus dem ersten Semester). Und hier soll nun am 25. Oktober 1977 ein richtiger Grand Express, der Nostalgie-Orient-Express, nach Istanbul abfahren...

14 Uhr 38. - Hinter einer blauen 110 laeuft eine imposante Reihe von 14 Wagen auf Gleis 17 ein. Aufschriften VOITURE-LITS, SLEEPING-CAR, CAROZZA-RISTORANTE und, wie in alten Zeiten, GRANDS EXPRESS EUROPEENS gleiten vorueber, Schlafwagen mit ovalen Tuerfenstern, die an den Jugendstil erinnern, und Pullmanwagen in ihrem nostalgischen blau/cremefarbenen Look der dreißiger Jahre kommen am Bahnsteig zum Stehen. Wagons-Lits-Schaffner mit ihren steifen franzoesischen Muetzen nehmen vor den Eingaengen Aufstellung. Hinter den breiten Fenstern des Salonwagens bewegen sich Kellner in weißen Jacken, irgendwo an einem Schlafwagenabteil schließt sich diskret ein Rollo und ueber den Daechern kraeuselt der Rauch aus den Koksheizungen, wie Weihrauch... Ein braun Uniformierter uebernimmt das Gepaeck. Beim Eintreten in den Wagen empfaengt den Reisenden der vertraute Geruch des Koksfeuers in der Umgebung von Edelhoelzern und Teppichen.

Aus dem Halbdunkel der Halle hinaus ins Sonnenlicht bewegt sich die Schlange der 14 Wagen mit hinter einer 110 hinaus auf die oberbayerische Ebene. Eine Duesenmaschine vom Flughafen Riem fliegt darueber hinweg - und das Abteil mit seiner verwitterten Taefelung in braun geflammtem Furnier, den Mahagonirahmen, den Intarsienarbeiten aus siebenerlei Hoelzern an den Waenden und Sofas in den olivfarbenen, geometrisch gemusterten Wagons-Lits-Pluesch wirkt wie ein wunderbarer Anachronismus. Neben der Eingangstuer verbergen Edelholztueren das Lavobo. Darunter befindet sich der Platz fuer das Nachtgeschirr, "das Potschamberli", wie der schweizerische Schaffner sagt.

In Salzburg steigen die Reisenden zu einem Stadtbummel aus. Als der Zug wieder abfaehrt, ist es Nacht geworden. Droehnend poltert das Express hinter einer 1010 durch den Tunnel am Eingang zur Salzachschlucht. Im Felsgebirge des Steinernen Meeres haengen Wolken. Oben ist Kaelte und toedliche Einsamkeit - unten gehen Herrschaften in Smoking, die Damen in langen Abendkleidern, auf dem Weg zum Gala-Diner auf roten Teppichen durch die geheizten Korridore. "Sorry", "pardon", "gestatten"... Am Bahnsteig von Schwarzach-St. Veit hocken zwischen Schachteln, Koffern und Buendeln Gastarbeiter im Freien. Sie warten auf ihren anderen Orient-Express, den Tauern-Orient.


Nostalgie Istanbul Orient Express, Pullman "Cote d'Azur", Gala-Diner 1977 (WS)


Grau, neblig und farblos liegt am anderen Morgen die jugoslawische Ebene da, waehrend der monotonen Fahrt Zagreb - Belgrad. Wie lange koennte das dauern? Eigentlich ein ganzes Leben lang. In ihren zwei Schlafabteilen haben zwei Menschen alles, was sie brauchen. Zum Fruehstueck wird in den Pullman-Salons starker italienischer Kaffee aus silbernen Kannen ausgeschenkt. An den Bahnuebergaengen warten Scharen von Arbeitern mit ihren Fahrraedern. "Noch Kaffe? Encore du the?", fragt der Ober im Pullman. Dampflokomotiven vor den Fenstern sorgen fuer Kurzweil und Ergoetzen, ehemals deutsche Kriegslokomotiven und eine 11, die ungarische 424. Unser Zug faehrt mit einer 441 elektrisch, zwischen Jesenice und Dobova ist es eine 363 gewesen. Ein Eisenbahnfreund plaudert von seinen Dampflok-Safaris in Indien und Suedafrika. Frauen in Kopftuechern, die sich hoechstens eine Reise in die Provinz leisten koennen, stehen in Belgrad vor den Tafeln mit der Aufschrift NOSTALGIE-ORIENT-EXPRESS.


Nostalgie Istanbul Orient Express Stuttgart - Istanbul, JZ 441, Beograd Oct.1977 (WS)


Stadtrundfahrt, dann Mittagessen, diesmal in einem kleinen Salon mit vier bequemen Einzelfauteils am Ende des Pullman-Wagens. Gegenueber sitzt ein aelteres Ehepaar, Hollaender. "Mein Mann interessiert sich fuer Dampflokomotiven", sagt die Dame. "Ich auch. Dann muessten Sie van Wijck-Jurriaanse kennen, Overbosch oder Rutgers van Rozenburg". Namen werden aufgezaehlt, einige kennt der Herr gegenueber. "Wieso kennen Sie so viele Hollaender?" fragt er. "Mich interessiert die Geschichte der niederlaendischen Boottreinen, des Nederland-Express, des Rotterdam-Lloyd-Rapide." Eine Erklaerung ist wohl notwendig. "Das waren die Zuege, die vor dem Krieg im Anschluss an die Dampfer der Nederland und des Rotterdamschen Lloyd verkehrten, vielleicht haben Sie davon gehoert?". Die Dame laechelt, "aber mein Mann war doch Direktor des Rotterdamschen Lloyd"... Auf einen Zettel schreibt er seinen Namen. Ruys. Keine Titel. Der Name aber steht in der Geschichte der Seefahrt: die Familie, die schon im 19. Jahrhundert eine Schiffahrtslinie nach Niederlaendisch-Indien betrieb, ist eines der traditionsreichsten Reedereihaeuser Europas. Typisch fuer das Publikum dieses Zuges: kein Aufheben zu machen, keine "Schau" zu veranstalten. Dass ein texanischer Ölmilliardaer mitreiste, was erst nach der Rueckkehr aus der Zeitung zu erfahren. Alles ist serioes. Gregor von Rezzori's Story, in der ein alternder Amerikaner suedoestlicher Herkunft in Erinnerung an alte Zeiten in einem nostalgischen Orient-Express mit einer Dame wohl auch aus jenen Zeiten eine Nacht im Schlafcoupe vereinbart hatte, die er dann nicht antreten konnte, weil er die Abteilnummer vergessen hatte - diese Story hat sich hier gewiss nicht ereignet.

In Nisch soll statt der 441 zum ersten mal eine Dampflok vorgespannt werden, zur Fahrt nach der Grenzstation Dimitrovgrad. Schwarz, mit dicken Rauchschwaden aus dem Schornstein, setzt sich die Maschine vor den Express, eine 33, eine ehemals deutsche Kriegslokomotive. Ein langer hoher Pfiff. Dampf zischt aus den Zylinderhaehnen, als sich der Nostalgiezug in Bewegung setzt. Ruß rieselt. Rauchwolken verdunkeln die Bahnhofslampen; es ist Abend geworden. Die meisten Reisenden haben sich in die Abteile zurueckgezogen, um sich fuer das Diner zu kleiden. Vorne rumort die Dampflok; oeffnet man das Fenster, dann kommt der Geruch von Kohlenrauch und Schwefel ins Abteil. Neben dem Gleis ist das Bett der Nischava; bei Dunkelheit sieht es aus, als waere es nicht einmal zehn Meter breit. Gegenueber sind bleich die hellen Felsen, dazwischen schwarze Schluchten, Kamine und Tunnelschluende der Straße. Die Felsen stehen so spitz, so ueberhaengend und unnatuerlich da wie auf einer Modelleisenbahn. Im Scheinwerferlicht der Dampflok wird der schmale Pfad sichtbar, den man fuer die Schienen zwischen Fluss und Wand gesprengt hat, manchmal mit einer schmalen Granitnadel dazwischen. Fauchend fegt der Zug am Flussufer entlang, legt sich in die Kurven, taucht in Tunnels ein, die das Abteil wie den Fuehrerstand einer Lokomotive mit dem herrlichen Qualm fuellen, schießt wieder in die Nacht hinaus, speit Rauchwolken vor den Mond und beleuchtet diese mit dem orangeroten Schein aus der Feuerbuechse, wenn der Heizer nachlegt. Nur die klagenden Pfiffe in den auf- und abschwellenden Tonlagen der verschwundenen jugoslawischen Pacific 05 von frueheren Reisen fehlen diesmal...

Platznehmen zum "Captain's Dinner". Nach dem ersten Gang ("Giuwetsch Bulgara") kommt die jogoslawische Passkontrolle, nach dem dritten ("Tavouk Goueskue, Pilavli M'Giaddra Palik") die bulgarische. Ob wir kein Visum haben? Nein? Das wird uns teuer zu stehen kommen, warnen Mitreisende. Der Polizist sieht nur meine Frau an: "Sind Sie wirklich eine Deutsche?", und - "vergisst" das Visum. Durch ein kommunistisches Land ohne Stempel zu fahren, das gibt es damals wohl nur im Luxuszug. Irgendwie hatte der aeltere Schlafwagenschaffner, der mit der Medaille fuer vierzig Dienstjahre, schon recht, als er meinte, dass so ein Zug ein Wunder sei...

Der Express erreicht Sofia um 23 Uhr 30 statt am fruehen Abend. "Captain" Alby Glatt kommt in den Speisewagen und gibt bekannt, dass die geplante Sightseeing-Tour dennoch stattfinde und, dass auch die angekuendigte Folklore-Gruppe ausgeharrt habe, vier Stunden lang. Waehrend auf dem verlassenen Bahnsteig Dampfschwaden der Heizung vor den Fenstern der Schlafwagen empor steigen (Lokomotive war eine BDZ-Diesellok 04, ab hier ist es eine Ellok 43p), waehrend die letzten Schichtarbeiter zu den allerletzten Vorortzuegen gehen, draengen sich die Reisenden des Nostalgiezuges, so wie sie von dem festlichen Gala-Diner aufgestanden sind, in "kapitalistischen" Smokings, um die Volkstaenzer eines kommunistischen Landes. Und als die Vorfuehrung aus ist, als der Beifall ertoent, faengt die Musik von neuem an, packen die Kostuemierten die Fremden, und es muss mitgemacht werden. An der Hand einer Bulgarin als notorischer Nichttaenzer einen bis dahin nicht gekannten Balkantanz zu tanzen, um Mitternacht in der Bahnsteigunterfuehrung von Sofia, wer haette das gedacht...

Um ein Uhr nachts, im weiß ueberzogenen Bett des Schlafwagens, ist der zweite Reisetag zu Ende. Der neue alte Orient-Express rollt ueber die Schienen Bulgariens. Der Gebirgspass an der Grenze zum einstigen Ostrumelien wird verschlafen. Man koennte vom Orient-Express des Jahres 1885 traeumen, dessen Passagiere auf dieser Route zwischen Nisch und Tatar Basardschik die Kutsche benuetzen mussten, oder von Zar Ferdinand, der Lokfuehrer aus Leidenschaft war. Oder, wie die Witwe des ermordeten Zaren Boris im 2. Weltkrieg hier per Bahn den Nazis entflohen ist: "Mit Hilfe einiger Vertrauter fluechtet sie mit ihrem Sohn und ihrer neun Jahre alten Tochter Marie-Luise nach Istanbul. Zu dieser Zeit verkehrt zweimal woechentlich ein Zug zwischen Sofia und Bosporus. Es klingt fast wie ein Witz, dass sich dieser Zug, in dem stets ein Sonderwagen fuer Diplomaten und Kuriere mitlaeuft, immer noch Orient-Express nennt", so schilderte das der Journalist Bernd Ruland.

Sonderbare kyrillische Buchstaben, Nebel, Offiziersuniformen mit breiten Schulterstuecken, ein verschlafener Bahnhofsausschank in der Morgendaemmerung, Svilengrad. Irgendwo rumpelt eine Diesellokomotive, wohl "unsere" 04, die in Plovdiv die Ellok abgeloest hat. Stiefel knallen durch die Gaenge. Klopfen an der Tuer: Passkontrolle. Aber niemand sagt etwas wegen des fehlenden Visums. Endlich faehrt der Zug wieder an. Vor den Fenstern liegt eine Lehmstraße, wie eine Ansammlung von Rinnsalen, braungelb, neben erdbraunen Feldern. Ein Stacheldrahtzaun verliert sich in der Ferne, die bulgarisch-tuerkische Grenze. Ein Halt neben einer Reihe schmutziger, schaebiger Eisenbahnwagen - Kapikule, Tuerkei. Die fremden Wagen setzen sich in Bewegung; sie tragen Tafeln "Marmara-Express/ Tauern-Orient".

Nach einer Viertelstunde Fahrt hinter einer tuerkischen Diesellok DE18 bleibt unser Zug abermals an einem Bahnsteig stehen - und eine schneidige Kapelle blau Uniformierter empfaengt die Touristen mit schmetternden Klaengen. Erst spielt sie den River-Kwai-Marsch, dann, bei tuerkischer Musik, steigert sie sich, wird lauter, schneller, leidenschaftlicher. Es ist, als ob der Rhythmus, den die Eisenbahner spielen, der Rhythmus der kurzen Schienen waere, ueber die seit einem Jahrhundert der Orient-Express donnert.

Die Station heißt Edirne, das fruehere Adrianopel. Omnibusse bringen die Reisenden zur Selimiye-Moschee, dem Meisterwerk des genialen Baumeisters Sinan. Es gilt als der vielleicht schoenste Raum der Welt.

Ratatam, ratatam, ratatam jagt der Zug ueber die unzaehligen Schienenstoeße. Gleisbauarbeiter vor ihren spitzen Zelten grueßen die Reisenden. In Alpullu steht eine 2D-Dampflokomotive. Beim Mittagessen im Speisewagen erzaehlt der Tischnachbar, ein Richter aus Colorado, von der Denver, Rio Grande und von der Santa Fe. Als die fuenf Gaenge abgeschlossen sind, braust Beifall auf: Chefkoch Falciola, Maitre d'Hotel Brigatti und ihre Leute passieren den Salon auf dem Weg in den Personalschlafwagen. Irgendwo zwischen Orten mit Namen wie Pehlivankoey (vor Jahrzehnten gab es dort Schuesse auf den Simplon-Orient-Express) und Cerkezkoey (1929 steckte dort ein Orientzug tagelang im Schnee) ist ein alter blauer Schlafwagen abgestellt, ein Schnellzugwagen aus den "mail trains" der einstigen britischen Ottoman Railway, irgendwo ein Wagen der Bagdadbahn.

Vermutlich wegen eines Streiks kann an jenem Tag in Halkali nicht die uebliche Dampflok, meist alte vierfach gekuppelte Typen, vorgespannt werden. Mit einer elektrischen BB4400 gleitet der Zug gegen acht Uhr abends in den Sirkeci-Bahnhof von Istanbul. Trommeln und tuerkische Schwerttaenzer, umringt von einer Mauer Schaulustiger, ein martialischer Tanz, wilde Rufe, das Klirren von Metall erwarten dort die ehrwuerdigen Grand Luxe-Schlafwagen, diese alte Garde aus der großen Zeit von Europas Expresszuegen, als sie zum letzten mal auf dieser Fahrt mit knirschenden Bremskloetzen zum Stehen kommen.


Istanbul (WS)


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