trains-worldexpresses.com
T r a v e l s  -  R e i s e n




I s t a n b u l - B a g h d a d



Guney Ekspresi Kurtalan - Istanbul, Anatolia 1969 (WS)

Adana 1969 (WS)

Schwarz von Ruß stehen die Schlafwagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits et des Grands Express Europeens im wilhelminischen Bahnhof Haydarpasa am asiatischen Ufer Istanbuls, Seemoewen im Nieselregen auf den Daechern, ehrfurchtgebietende Richtungsschilder "Baghdad" und "Beyrouth", franzoesisch geschrieben, auf den Seiten. Nach einer Viertelstunde verschwinden sie unter den Dampfschwaden eines einfahrenden Vorortzuges langsam in der naechsten Kurve, waehrend ihnen das Auge noch lange nachblickt. Nach zwei Tagen wird vor den Fenstern des altmodischen Ausgucks auf dem Dach des Wagons-Lits-Gepaeckwagens die Ebene des Euphrat auftauchen, werden die Wagen, immer noch mit Interieurs im Stil von Maple ausgestattet, weiß vom Staub, wie das der Diplomat und Dichter Paul Morand gesehen hat, die syrische Steppe oder die irakische Wueste durchqueren...

Es ist der Taurus-Express oder Toros-Ekspresi, dem die Gedanken bei dieser ersten Begegnung folgen, der Patriarch unter allen orientalischen Eisenbahnzuegen, dessen Anschluesse damals, im Spaetherbst 1968, von England und Frankreich bis Jordanien, Persien und, per Schiff, bis Saudi-Arabien und Indien reichen - jener Zug, von dem der Journalist und Schriftsteller Joseph Wechsberg verriet, daß man in ihm "bestimmt noch immer Geheimagenten, Schmugglern, verschleierten Madonnen und vielleicht sogar Hercule Poirot begegnet."

Ein Jahr darauf: Zum ersten mal sitzen wir selber im Schlafwagen Istanbul - Bagdad. Es ist ein Wagon-Lits vom Typ YT aus den vierziger Jahren, dessen Waende elegant in Mahagoni getaefelt sind und dessen rote Teppiche die Atmosphaere des Pera Palace-Hotels nach Anatolien tragen. Der Wagen ist leer - weder finstere Kuriere, noch Hercule Poirot lassen sich an jenem sonnigen Morgen des 10. Juni 1969 blicken. Dafuer winken Schulkinder aus einer Klasse heraus dem vorbeifahrenden Express nach.

Um die Mittagszeit bewegt er sich landeinwaerts, an einem großen See inmitten von Wiesen vorbei - von dem ehemaligen CIWL-Speisewagen aus bei Hammelkeule betrachtet -, durch ein Tal und vorueber an einer Ausweichstelle, an welcher der Pasinler-Ekspresi aus Erzurum mit einer wuchtigen amerikanischen Diesellok jener Reihe DE21 wartet, die auch unseren Taurus-Express zieht. Durch die Schlucht des Sakarya nehri, zwischen Felsen hindurch, auf staehlernen Bruecken ueber das reißende braune Wasser hinweg, durch Tunnels und spaeter wieder ueber flacheres Land fahrend wird es Nachmittag bis zu der lange erwarteten Steilrampe von Bilecik hinauf nach Karakoey. Am Schuppen von Bilecik ist zwar keine der fuer den Schiebedienst gebauten Tenderlokomotiven der Reihe 5701-04 zu erkennen, jedoch sind einzelne Maschinen durch Sir William Stanier's "8F" und eine Tenderlok von Maffei verdeckt.

Kuehle, ein gruenes Tal, Laubwaelder, schoene Stationen, Äcker und Mohnblumen begleiten den Eintritt in die anatolische Hochebene. Sie oeffnet sich weit bei Inoenue. Eskisehir, die Stadt der Eisenbahnwerkstaetten, zeigt neben "unserer" 52 und der Schnellzug-Mikado 46 001-13 die 1E1 der Reihe 57 001-27, daneben staubige Straßen, laermende Kinder und bunte Haeuschen. Baeuerinnen in weißen Kopftuechern winken dem Zug nach. Wiesen, auf denen grazile Pferde weiden, wechseln in eine baumlose Huegellandschaft ueber mit fernem, scharf abgeschnittenen Horizont und mit spaerlichen Wasserlaeufen, in deren Naehe kleine Flaechen mit Sumpfgras den trockenen Karst unterbrechen. Die untergehende Sonne bescheint das in der Weite sich verlierende Gleis, braune groteske Felsgebilde und nunmehr zwei der rot-gelben DE21 vor dem Zug. Eine von ihnen wird bei der Begegnung mit dem Izmir-Express wieder abgehaengt. Zum Abendessen erscheinen nun vier Personen. "Monsieur a Beyrouth?" fragt der Ober - die Atmosphaere ist familiaer. Die Huegel draußen heben sich nun scharf gegen den klaren Nachthimmel ab.

Sonderbare Dampflokomotiven, die 1E aus den USA, wie sich spaeter herausstellen sollte, im Halbschlaf vom weiß ueberzogenen Bett aus gesehen, kuenden kommende Ereignisse an. Der Morgen sieht den Taurus-Express in einer Ebene, die groeßtenteils aus Steppe besteht, durchzogen von bizarren Bodenformationen und Gelaendebruechen. Die Doerfer erscheinen erdfarben wie die Landschaft und die Wagen sind mit einer Staubschicht bedeckt. Eine Haltestelle verlaesst der Zug zunaechst in Rueckwaertsfahrt, ohne dass die Maschine umgesetzt wird. Es ist das Gleisdreieck von Bogazkoeprue mit den Abzweigung ins oestliche Anatolien. Ein Bergkegel mit viel Schnee bleibt fuer Stunden im Osten sichtbar, zuletzt ueber einer grauen Salzwueste. Es ist der fast viertausend Meter hohe Erciyas Dagh. Kahle Tafelberge, abermals baumlose Steppe, dann eine lehmfarbene Moschee mit gedrungenem Minarett und drei Kuppeln ueber einem Zikkurat aus kubischen Haeusern - die Stadt Nigde wie aus einem orientalischen Maerchen, steinige Huegel im Hintergrund. Waehrend des Haltes laufen Jungen am Zug entlang, fragen die Reisenden. Sie sammeln Zeitungen, wohl fuer zu Hause, zum Anheizen. Abfahrt nach ein paar Minuten.

Wieder oede Steppe und schließlich eine lange Steigung bereiten die Szenerie vor, der sich der Zug bei Ulukisla ploetzlich gegenueberfindet: der schneebedeckten Taurus-Kette. Schwarze Felswaende davor, tiefer unten die Almregion, im Tal ein blinkender Wasserspiegel, Pappeln, Getreide, Blumen. Dann schnelle Gefaellefahrt, Hitze und der Geruch verbrannten Öls, die ins Abteil schlagen, das Betriebswerk mit seinen "8F" und 1E-Lokomotiven, Ciftehan, Posanti mit bunten Haeuschen im Mittelmeerstil und mit Maennern in Pluderhosen, auf einem Ausweichgleis ein Gespann schwerer 1E-Maschinen. Tunnel folgt auf Tunnel oft im Abstand von nur wenigen Metern mit kurzen Ausblicken auf die himmelhohen Felswaende. Die stickige Luft ist kaum zu atmen, die Gesichter der Lokomotivheizer sind schwarz vom Rauch in den engen verqualmten Schluenden. Aus dem untersten faehrt der Taurus-Express wie aus Dantes Hoellentor hinaus in die kilikische Ebene.

Palmen, ueber die Gleise laufende Menschen mit Sonnenschirmen und ein Boden, der durch die Schuhsohlen brennt, das sind die Eindruecke auf dem Bahnhof der Stadt Adana. Unter unaufhoerlichem Pfeifen bahnt sich die 56 737 den Weg aus dem Betriebswerk. Sie ist eine schwarze deutsche 1E der Baureihe 44, die von der SNCF an die TCDD kam, mit gestutztem Schornstein und silberfarbenen Bemalungen an Puffertellern, Haltegriffen und Kuppelstangen. Sie setzt sich an Stelle einer DH27 des seltenen dieselhydraulischen Prototyps von Krauss-Maffei vor den Taurus-Express.

Am Nachmittag hat gerade ein Paar "44er" den acht Stunden verspaeteten Postzug aus Tatvan und Kurtalan hereingebracht. Ein Blick ostwaerts, ein Blick auf die Uhr und das Achselzucken eines Eisenbahners bedeuten, dass der Taurus-Express von Syrien her unbestimmte Verspaetung hat. Nach Sonnenuntergang endlich ueberquert er, aus Bagdad und Beirut kommend, unter dem hohen Pfeifkonzert eines schwarz-silbernen Prachtexemplars "unserer" 44, langsam, beinahe majestaetisch, die staehlerne Bruecke ueber den Seyhan nehri. Hinter der Lokomotive laeuft der Gepaeckwagen der internationalen Schlafwagengesellschaft, die Sitzwagen sind ueberfuellt und die Gaenge der drei alten blauen Schlafwagen quellen ueber von Kindern aus Arabien, die den Sommer in der kuehleren Tuerkei verbringen. Es wird Nacht, bis sich der Express hinter der DH27 in Richtung Taurus in Bewegung setzt. Wenige Jahre zuvor hatte er das Gebirge noch mit zwei der fauchenden Riesen erstuermt und eine dritte Dampflok schob nach...

Drei Jahre spaeter sollte der Traum von einer Reise bis Bagdad wahr werden. Wir schreiben den 10. August 1972: Über den Feldern und Bewaesserungskanaelen Kilikiens lastet bruetende Hitze. Fenster und Waggontueren sind offen, um den Fahrtwind herein zu lassen. Es ist ein alter, frueher der CIWL gehoerender Schlafwagen vom Typ SGT, der den Schluss des Taurus-Express Istanbul - Bagdad bildet. Mit Intarsien, funkelnden Messingbeschlaegen und den vornehmen Teppichen traegt er die Romantik europaeischer Hotelpalaeste in die Wuesten Arabiens. Eine Frau jedoch erscheint im luftigen Nachthemd zum Mittagessen im Speisewagen. Erst als die amerikanische Diesellokomotive DE21, die in Ankara die franzoesische DE24 abgeloest hat, mit heiserem Roehren durch Kiefernwaelder aufwaerts die Auslaeufer des Amanus-Gebirges erklimmt, wird es etwas kuehler. Die Dampflokomotiven am Betriebswerk von Fevzipasa, dessen Schlackenhalden tief ins Tal hinunter reichen, sind 45.0, 56.7 und vor allem 56.0. Mit schweren Gueterzuegen kommen diese oelgefeuerten 1E bebend die Strecke von Aleppo herauf und sie ziehen hier wohl auch noch den syrischen Teil des Taurus-Express. Unser Zug faehrt auf der tuerkischen Strecke weiter in Richtung Gaziantep. Am Abend, beim Aufstieg ueber die naechste Wasserscheide hinter Narli, steht leichtes Abendrot ueber dem großen Gebirgsmassiv der Tuerkei, das nun im Nordwesten liegt.

Melancholisch klingende arabische Musik aus einem Transistorradio, gelbliche ebene Landschaft draußen vor den Fenstern des altehrwuerdigen Speisewagens und einsame Militaerstationen unter der roten Halbmondfahne zeigen am anderen Morgen, dass die Grenze nach dem oestlichen Teil Syriens nicht mehr weit ist. Die Dampflok 45 137, welche den Express in Gaziantep von der DE21 uebernommen hat, ist eine 1D-Kriegsmaschine, eine amerikanische "Klapperschlange". In Senyurt wird sie zur Weiterfahrt nach Nusaybin von einer anderen Kriegslok, der "Middle East class" Nr. 46 218 abgeloest. Hier qualmt auch noch die "preussische G8" - und auf der Rueckfahrt sollte so eine 44.0 gar den Taurus-Express uebernehmen.

"Corps diplomatique?" fragt der syrische Beamte in der Grenzstation Kamechlie beim Anblick des Nadelstreifenanzugs auf dem Kleiderbuegel. Der Anzug haette vielleicht die Einreise ohne Visum ermoeglicht. Der Autor ist hier der einzige Schlafwagenfahrgast und zuvor hatte er auch noch den Speisewagen der in Nusaybin abgehaengt wurde, fuer sich alleine gehabt. Welch ein koeniglicher Luxus... Der syrische Lokomotivheizer laedt zum Besuch auf dem Fuehrerstand ein. "Aleman" war hier stets ein Sesam-oeffne-dich. In Nusaybin, dem tuerkischen Grenzbahnhof, hatte sich diese "preußische G8", der Vierkuppler der CFS-Reihe 040, vor den "Express" gesetzt, der nun hauptsaechlich aus 20 oder 30 Gueterwagen besteht, beladen mit ungarischen Omnibussen fuer den Irak. In Kamechlie stehen auf einem Abstellgleis dreiachsige Umbauwagen, welche die Deutsche Bundesbahn einst auf preußischen Untergestellen hat bauen lassen. Auf der Rueckfahrt ist es eine - natuerlich ebenfalls preußische - 1C von Borsig aus dem Jahre 1912, die sich unter einer immensen Qualmwolke, oft im Radfahrertempo, mit dem schweren Zug abmueht - und schließlich wegen eines Schadens liegenbleiben sollte. Wie schwierig auf dieser letzten "preußischen" Eisenbahn-Enklave im aeußersten Zipfel Syriens der Betrieb ist, zeigen die Zugbegegnungen: der Taurus-Express muss in einer kleinen Station auf zwei Ausweichgleise verteilt werden, da er fuer ein einziges zu lang ist.

Anschließend steht der Zug viele Stunden lang in El Yaroubieh und kein Mensch weiß warum - aber keiner regt sich hier auch sonderlich darueber auf. Als es am Abend weiter in den Irak hinein geht, mit der gruenen Dampflokomotive Nr. 1441 der Klasse TE, einer 1D von Krupp, hat der Zug vier oder fuenf Stunden Verspaetung. Hinter dem Tender laeuft ein zusaetzlicher Wasserwagen fuer die einsame naechtliche Steppenfahrt.

Der vierte Morgen seit Abfahrt des Zuges in Istanbul bietet draußen braune Steppe so weit das Auge reicht. Die Menschen in den wenigen Ansiedlungen tragen lange wehende arabische Gewaender; die Lehmhuetten in den Doerfern sind noch einfacher, noch primitiver als in Syrien. Auf dem Nachbargleis in einer Station steht ein Zug, aber - kaum zu glauben - nicht ein paar schmutzige Rostlauben, wie ueberall auf der Fahrt zwischen Muenchen und dem Orient, sondern eine lange Wagenschlange in Lichtgruen und Cremefarben unter der Morgensonne glaenzend, der Nachtzug Bagdad - Mosul hinter einer ebenso lackierten DEM2000 von CKD, dem dreimal in der Woche die Wagen nach Istanbul angehaengt werden.

Je weiter suedwaerts der Taurus-Express faehrt, desto heißer kommt der Fahrtwind durch das offene Fenster. Schon laengst tut der Schlafwagenschaffner seinen Dienst in Turnhose und mit bloßem Oberkoerper. Mitten in Visionen von schattigen Muenchner Biergaerten erscheint ploetzlich, einer Fata Morgana gleich, die spiegelnde Wasserflaeche des Tigris - aufgestaut bis zum Horizont, mit Palmen am Strand und Palmen auf Inseln im Fluss - der kuenstliche See von Samara. Am anderen Ufer steht das Spiralen-Minarett der zeitweiligen Hauptstadt des islamischen Reiches, und im Hintergrund glitzern die Tuerme und Kuppeln der heutigen mohammedanischen Heiligtuemer. Dann ist das Maerchen vom wiedererstandenen fruchtbaren Mesopotamien mit einem Schlag zu Ende: brauner Steppenboden und Gluthitze sind wieder fuer Stunden die monotonen Begleiter.

Rauchschwaden kuendigen die Naehe der Hauptstadt an. Sie kommen aus den Schornsteinen vieler kleiner Betriebe, in welchen die gelben Ziegel hergestellt werden, aus denen die meisten Haeuser des modernen Bagdad ebenso gebaut wurden wie die Palaeste des alten Babylon. Allerdings stehen von jener Stadt, in der vor zweieinhalbtausend Jahren Nebukadnezar geherrscht hat, heute nur mehr die Grundmauern. Bei fuenfzig Grad im Schatten laeuft der Express mit einer kleinen tschechischen DES-Diesellok, drei Wagen aus Istanbul und ein paar Gueterwagen in den modernen Central-Bahnhof von Bagdad ein.

Bei der Rueckfahrt wenige Tage spaeter: Orientalische Familien warten am Bahnsteig, ein Moslem verrichtet am Boden sein Gebet, drei Inderinnen in dem neuen tuerkischen Schlafwagen waren per Schiff und Zug ueber Basra angereist, eine Musikkapelle spielt fuer eine Hochzeitsgesellschaft, die Braut in Weiß wird im Triumphzug voruebergefuehrt, wie das Nebelhorn eines Ozeandampfers ertoent von weit vorne ein paarmal hintereinander das Signal der Diesellok und dann setzt sich der Express unter dem Winken der Zurueckbleibenden in Bewegung - zur Fahrt nach Europa.


Taurus-Express Istanbul - Baghdad, 1441, 1440 Iraqi Republic Railways, El Yaroubieh, August 1972 (WS)

Taurus-Express Istanbul - Baghdad, DES 3018, Baghdad West, August 1972 (WS)


Agarkuf, Iraq (WS)


Istanbul - Baghdad Diyarbakir Israel - Negev Istanbul - Iran