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T r a v e l s  -  R e i s e n




D i y a r b a k i r



"Lauernde Sphinx, Stadt der schwarzen Mauern, der schwarzen Hunde und der schwarzen Herzen."

Ewald Banse
ueber Diyarbakir





Goreme (WS)



Guney Ekspresi Istanbul - Diyarbakir - Kurtalan (WS)
Nach vierundzwanzig Stunden Fahrt seit Istanbul wieder einmal ein Sonnenuntergang: orangefarbene Strahlen ueber Zaeunen aus verrosteten Eisenschwellen. Der Zug taucht zwischen merkwuerdige weiße Tafelberge ein. In der Duesternis des Ostens ragt, fast nicht sichtbar, unnatuerlich hoch ueber den anderen Bergen ein Gebilde wie Luft auf, der 4000 Meter hohe Erciyas Dagh. Um 20 Uhr 50 kommt mit 11 Wagen und 10 Stunden Verspaetung der Dogu Ekspresi aus Kars im aeußersten Nordosten entgegen. Um 22 Uhr ist Kayseri erreicht, das vorlaeufige Ziel.

Am anderen Morgen heißt es Warten auf den Minibus nach Ürguep, zuvor in einer Taverne Fruehstueck essen wie die Einheimischen, Suppe, Brot frisch vom Baecker, dann Tee. Ürguep: Behausungen als Hoehlen in Fels gehauen, in der Umgebung unzaehlige Felskegel, bizarr wie die Oberflaeche eines fremden Himmelskoerpers. Mag so der dritte Planet von Alpha Centaurus aussehen? Ortahisar ist ein Felsturm mit "Zimmern" darinnen, ueber kleinen Haeusern und Straßen. Kinder druecken dem Fremden etwas in die Hand, getrocknete Aprikosen, jeder bringt seine Portion, der Kleinste zum Schluss. Und sie freuen sich, dass sich der Fremde freut. Die aelteren Schulkinder sind zurueckhaltender, trotzdem fragt fast jedes: "Alman?" Und auf die Antwort "ja, Alman" ist es zufrieden. Die meisten Frauen sind verschleiert. Eine im traditionellen Gewand ruft von weitem etwas auf Deutsch. Sie spricht rheinlaendisch, arbeitet in Koeln, ist auf Urlaub bei ihren Geschwistern und auf die Bemerkung, dass es hier sehr schoen sei, weniger hektisch, kommt die unerwartete Entgegnung: "Ich liebe Deutschland". --

Der Beamte am Fahrkartenschalter in Kayseri macht ein bedauerndes Gesicht, er antwortet noch einmal langsam "Yatakli Vagon yok" und "1. Klasse yok", beide sind ausgebucht, er hat fuer die zwanzigstuendige Fahrt nach Diyarbakir nur ein Billet zweiter Klasse, 530 Lira, etwa 1 ½ Euro. Nach der Staerkung fuer die beschwerliche Fahrt in einem Gasthaus verlangt der Wirt - nichts. Er hat einmal in Deutschland gearbeitet. Am Bahnhof unter den Schuhputzerbuben sprechen zwei deutsch, einer hat sein Deutschbuch mit. Mit nur einer Stunde Verspaetung laeuft der Gueney Ekspresi ein. DE24, Postgepaeckwagen, ein merkwuerdig orange mit dunkelbraun gestrichener Waggon, ein neuer 1. Klasse-Wagen, Tafel "Kurtalan", zwei neue Liegewagen nach Diyarbakir, ein aelterer, ein rot-beiger Halbspeisewagen, der Schlafwagen. Wo ist die 2. Klasse? An dem orangebraunen Wagen ist die erste angeschrieben, er muss es dennoch sein. Nur ein Wagen? In seinem Eingang draengen sich die Menschen. Schnell hinein, auf einen freien Platz zu. Aber was ist das? Keine Abteile, ein Vorortwagen mit Mittelgang. Die Menschen jedoch in diesem Waggon sind freundlich, nebenan sitzen Maenner, weiter hinten Kinder, viele Kinder. Sie hocken auf den Plastikbaenken, sie stehen an den Fenstern, sie liegen auf Decken, welche die Muetter am Boden ausgebreitet haben, und sie laufen barfuß durch den Zug, zwischen Taschen, Tueten und Saecken hindurch. Die Leute haben seit Istanbul eine Nacht und einen halben Tag Fahrt hinter sich und - sie laecheln. Und als der Zug anfaehrt, tun sie das, was man auf der ganzen Welt dabei tut, sie packen ihr Essen aus. Sie bieten Obst an, und Unterhaltung, so gut es geht.

"Alman?", "Sivas", "Istanbul", "Diyarbakir", "Almanye gut", "Tuerkiye gut". Ploetzlich ein Tamburin, die Kinder, acht in den naechsten beiden Sitzreihen, fangen an zu tanzen, klatschen zum Rhythmus, die Schaffner und der Zugfuehrer, ein grauhaariger Huehne, kommen und schauen zu. Dann gehen zwei Militaerpolizisten mit Stahlhelm und Maschinenpistolen durch den Zug. Sie fuehren einen Haeftling, kurz geschoren, in Handschellen, bleiben vor der Landkarte mit ihm stehen, setzen sich mit ihm zu den Kindern, gehen wieder, sprechen kein Wort.

Ein Tuerke, Lehrer, kann etwas Deutsch. Er verhandelt mit dem Zugfuehrer, der Alte laesst sich das Billet geben und - schreibt eine Fahrkarte fuer einen Liegewagen erster Klasse aus. Der Lehrer zeigt das Abteil. Es liegt genau neben dem Liegeabteil der Militaerpolizei! Da wird es wohl nichts mit dem Eisenbahn-Photographieren. Zur Probe wird ein Portraet des Lehrers aufgenommen. Und die Reaktion der Militaerpolizisten? "Photographieren Sie doch bitte auch uns", deuten sie.

Einer der Freunde aus der zweiten Klasse kommt mit in den Speisewagen. Der Weg fuehrt durch den "Pullman", auch hier ganz viele Kinder, sie krabbeln ueber die Flugzeugsessel und sie liegen auf Decken am Boden. Zum Abendessen gibt es frisch gegrilltes Fleisch, dazu die schraegen Strahlen der Sonne. Dann, im Liegewagen, versucht einer der Militaerpolizisten eine Unterhaltung. "Sister Almanye", und "Auto? Mercedes?". Oder "dog, peng peng", dazu eine Bewegung des Schießens, was wohl heißt, dass man hier Woelfe jagt. Er zeigt auf die kahlen Bergruecken jenseits des Flusses. Es ist wieder abwaerts gegangen, in langgezogenen Kurven hat der Express eine Wasserscheide ueberquert, der Fluss heißt wieder einmal Kizilirmak, schon vor zwei Tagen ist es an ihm entlanggegangen. Baumlose Urlandschaft, irgendwo eine Schafherde. Und des Unwirklichen noch nicht genug: zu dem Abendrot ueber dem asiatischen Fluss der melancholische Gesang des Militaerpolizisten...

21 Uhr. Sivas. Zwei Maenner und eine Frau tragen eine Kranke ins Abteil. Stoehnen, Schmerzen: "Oi, oi, oi". Die Liegen sind gemacht, die eine Frau bleibt bei der Kranken am Fußende sitzen. Die Soldaten laden ein, in ihr Abteil zu kommen. Den Gefangenen sind die Handschellen abgenommen worden, die Maschinenpistolen lehnen an der Wand. Die Haeftlinge wirken immer noch ernst, aber einer beginnt ein Gespraech auf - deutsch. Der andere sagt "Koeln" und "zwei", zwei Jahre in Koeln.

Im Nachbarabteil sitzt ein junges huebsches Maedchen. Keiner der Soladaten aber versucht mit ihr zu flirten. Ein Laecheln ist hier schon viel, sehr viel.

Leises Stoehnen, halb zwei Uhr nachts. Die Kranke wird in einer Station hinausgetragen. Der Zug ist in dieser Gegend das einzige Verkehrsmittel. Bei der Rueckfahrt sollte dann zu sehen sein, dass er auf dem steinigen Hochplateau, wo die Tunneleinfahrten mit Schneemauern bewehrt sind, und in einer einsamen Felsschlucht des Flusses auf allen Stationen anhaelt.

Leute kommen ins Abteil. Es ist hell draußen. Malatya, Lokwechsel (wie schon in Ankara und Sivas, immer DE24). Vierzehn Jahre zuvor hatten wir hier eine Schlafwagenreise nach Istanbul angetreten. Das "Bulletin" der Wagons-Lits-Gesellschaft war damals durch den Stationsvorstand, der uns Schlafwagenklienten bat, auf weiß ueberzogenen Fauteuils in seinem Buero Platz zu nehmen, persoenlich uebergeben worden... Diesmal krachen bei der Rueckfahrt, Tage spaeter, Steine in den Schlafwagen (damit gehoert der Gueney Ekspresi wie der vornehmere Nostalgie-Orient zur exklusiven Kaste jener Expresszuege, denen diese Auszeichnung zuteil wurde...).

Ein Nebelstreif liegt ueber dem Firat, wie der Euphrat hier heißt. Die Strecke wechselt auf das linke, noerdliche Ufer. Gegenueber ist die Baustelle einer zwei Kilometer langen Bahnbruecke ueber einen entstehenden Stausee. Dann beginnt eine Steigung. Das Rasseln des Diesels hallt von den Boeschungen wider. Die tiefe Morgensonne malt auf die kahlen Berghaenge scharfe Schatten, in die der Zug eintaucht. Hoeher empor, der erste Tunnel, die Gegend wird noch felsiger. Alles ist menschenleer, ringsumher blankes Gestein. Die Gipfel sind nah, roter Fels wie in den Dolomiten, darueber tiefblauer Himmel.

Spaeter ein erdfarbenes Haus, ein Bauer und eine Baeuerin treiben einen Esel. Die Strecke hat eine Hochflaeche erreicht, es gibt hier wieder Menschen, aber sie winken nicht. In Sefkat steht eine DE24 mit dem Zug Elazig - Adana, es scheint der Scheitelpunkt zu sein. In der naechsten Station, Yolcati, zweigt das Gleis zum Van-See ab, die Verbindung nach Persien. Gegen zehn Uhr geht es nochmals aufwaerts: viele Kurven, eine Kehrschleife, ein Tunnel. Weit unten sieht man auf den Steppenhaengen das Gleis, auf dem der Zug heraufgekommen ist. Und dann: links ein See, ein breiter blauer Bergsee. Lange Zeit faehrt der Express an seinem Ufer entlang.

Besuch in der zweiten Klasse: Einer spricht deutsch, er war in Westfalen. Und die Kinder - sie toben auf den Sitzen herum, eines haengt sich an den Gepaeckrost, Laerm, Geschrei bei jeder Tunneldurchfahrt - glueckliche Kinder. Eine braune Felsschlucht draußen, ein Gebirgsfluss, ploetzlich zwei Mietskasernen in der Einoede, primitive Huetten, ein Bahnhof, qualmende Dampfloks, eine "Middle East" mit einem Personenzug, auf den braunen Schotterbergen hoch oben schwarze Schlote. Maden heißt dieser Industrieort in der Einsamkeit.


Guney Ekspresi Istanbul - Diyarbakir - Kurtalan, Restaurant, 1983 (WS)

Abermals geht es durch Fels aufwaerts. Wie viele Wasserscheiden sind es noch bis zur Ebene des Tigris, die sich nach Mesopotamien oeffnet? Wieder bergab, jetzt durch Grasland, Ackerland. Weit weg an einem Berghang liegt eine Stadt. Am Bahnhof wartet der Zubringerbus, ERGANI steht auf dem Stationsschild. Die Doerfer hier sind anders, eher arabisch. "Schule" sagt ein Tuerke, der deutsch spricht und er deutet auf ein ebenerdiges Gebaeude, so klein wie ein Einfamilienhaus.

Es hat sicher vierzig Grad. "Winter viel Schnee", erzaehlt der Mann. In die Ebene eingeschnitten ist ein Flussbett, wie ein Wadi in der Wueste, endlich der Tigris. Dunkle Basaltbrocken liegen ueberall, wo nicht Felder und Bewaesserung kuenstlich angelegt wurden. Mietshaeuser, ein Militaergelaende, ein ueberdeckter Bahnsteig, 13 Uhr 30. DIYARBAKIR. Aussteigen, Haendeschuetteln. Eine Menschenmenge am Bahnsteig, unzaehlige Gepaeckstuecke, Buendel, Saecke. Am anderen Tag steht sogar eine Bettstatt aus Eisen, mit Decken und Matratzen, fuer den Zug nach Osten am Perron, und unerwartet eine Dampflok, eine deutsche 1E, dazu eine amerikanische 1D1.

Fahrt im Minibus in die Stadt, schwarz verschleierte Frauen wie im Irak, andere in kurdischer Tracht, Schuhputzer, Wasserverkaeufer, ein Schneider mit seiner Naehmaschine auf dem Gehsteig... Eigentlich ist die "lauernde Sphinx" eher ein großes Dorf, waere da nicht die beruehmte Basaltmauer, von der ein Einheimischer sagt: "Die groeßte Mauer der Welt steht in China, die zweitgroeßte in Diyarbakir".



Diyarbakir (WS)

Batman - Diyarbakir, "Middle East" 46.2, Diyarbakir 1983 (WS)

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