trains-worldexpresses.com
trains-worldexpresses.com
T r a v e l s  -  R e i s e n




M o s k v a   -   B u d a p e s t

P36, Moskva 1986 (WS)


Ein schwarzer "Wolga", wie immer auf dieser Reise, bringt uns in rasanter Fahrt, wie immer, zum Bahnhof - die Station Moskau Kievskaya - wo uns, wie immer, ein Agent in Empfang nimmt und an einen Gepaecktraeger weiterreicht, der uns durch die glaeserne Rundbogenhalle hindurch einen scheinbar endlosen blauen Zug aus Vierbettkupee-Schlafwagen entlangfuehrt bis zu einem der vier Schlafwagen erster Klasse an der Spitze der 19-Wagen-Garnitur. Gemuetliche Zweibettabteile nehmen die Reisenden auf, mit heller Holzmusterung, hellblauen Scheibengardinen und karierten blauen Wolldecken in bestickten Bettbezuegen, nicht etwa auf Stockwerksbetten, nein, auf zwei Betten nebeneinander, je eines an jeder Seite des Abteils, wie auch im Roten Pfeil - welch ein in Westeuropa unbekannter Luxus...

„Ukraina“ (WS)


Die Ausfahrt hinter der schoenen tschechischen Doppellok ChS7 an jenem Maitag 1986 geht um 21 Uhr 20 ganz langsam, fast feierlich vonstatten. Lange Zeit steht das Felsgebirge der Lomonossov-Universitaet am Horizont, lange Zeit reiht sich Vorortbahnhof an Vorortbahnhof in dieser Zehnmillionenstadt. Der Schaffner serviert Tee in altmodischen Glaesern auf (natuerlich) hellblauen Tischdecken, die das Monogramm des Zuges tragen, des Express Nr.1 "Ukraina" Moskau - Kiew..

Der Zug Nummer 1 wiegt uns in das offene Land hinaus: Birken, sumpfige Gewaesser neben den Gleisen, Telegraphendraehte, ein Dorf aus duesteren Holzhaeusern, in der Ferne in endloser Linie Nadelwald. Über den dunklen Wiesen steht noch um zehn Uhr hell der Abendhimmel, formlose Zirren aus der Ferne, in der Ferne sich verlierend... Russische Opernmusik dazu aus dem Abteillautsprecher.

Gruene Zuege mit roten Loks huschen vorbei (es sind Wechselstrombaureihen ChS4; Lokwechsel muss in Sukhinichi, noch vor Bryansk gewesen sein), im Halbschlaf ist eine rangierende Dampflok zu sehen (wohl eine ER), halb acht Uhr morgens. Baeuerinnen gehen auf baumgesaeumten Straßen. Bauernhaeuser verstecken sich in Obstgaerten. Der Schaffner bringt den Fruehstueckstee ans Bett.

Und dann weicht das Land zurueck, eine silberne Wasserflaeche erstreckt sich unter dem Zug... "Frau" - der freundliche Schlafwagenschaffner ist beim Anblick des Dnjepr vor Freude ueber seine Heimat ganz geruehrt - "Frau", ruft er aufgeregt erst in das eine Abteil, dann in das unserer Freundin, und zeigt auf den Fluss und auf die Huegel dahinter und auf die vergoldeten Kuppeln in einem Meer aus Gruen: Kiew.

Bluehende Kastanienalleen, klassizistische Fassaden, die Sophienkathedrale, die goldbehelmten Hoehlenkloester ueber dem Dnjepr, das ist Erinnerung an Kiew. Waehrend des Fruehlingsspaziergangs hinaus aus der Stadt zur Gedenkstaette fuer die Toten des Vaterlaendischen Krieges sind in der Ferne die Schnellzuege mit bis zu 24 Wagen zu photographieren gewesen, wie sie den Dnjepr ueberquerten. Und ein alter Herr im dunklen Anzug, mit vielen Kriegsorden auf der Brust, hat ein Gespraech gesucht. "Tschech?"; "Nein, Deutscher, Nemetskij." Überraschung, eine lange Pause, keiner beherrscht die Sprache des Anderen, Abschied. Und aus dem Abschied wird, schuechtern, ein Haendedruck...Vielleicht hat die Szene den Wachhabenden im Hintergrund davon abgehalten, den Eisenbahnphotographen zu verhaften.

Erinnerung ist auch die Nacht im Hotelrestaurant bei Kaviar und einheimischem Wein: einige Hochzeitspaare feiern, bei russischer Musik und der rauchigen Stimme einer faszinierenden Saengerin, etwas nostalgisch (ist eins der Lieder nicht von Edith Piaf?), mitmachen, Krakowiak tanzen oder was es ist - eine phantastische Nacht, die Nacht von Kiew...

Am anderen Morgen in dem Jugendstilbahnhof aus der Stalinzeit: Am Bahnsteig steht ein gruener Zug aus Zaporozhye mit einer alten Diesel-Doppellok in Hellblau, daneben laeuft eine ChS4 mit einem Zug aus Minsk ein und endlich, mit zehn Minuten Verspaetung, kommt hinter einer modernen ChS4T der Zug 15 Moskau - Budapest an (sein offizieller Name Tisza ist hier unbekannt). Das Einsteigen geht ganz leger vor sich, ein Offizier verabschiedet sich von seiner Familie (das Soehnchen setzt noch einmal Vatis Muetze auf), der Zug ist nicht ausgebucht und der Schaffner geleitet diesmal in ein Vierbettabteil - viel bequemer als die Dreibettabteile mit ihren Dreier-Stockwerksbetten in den nach westlichen Vorgaben gebauten RIC-Schlafwagen.

Kiefernwald, Sonnenschein auf roetlichen Staemmen, ein Dorf im Gruenen, niedliche Schrankenwaerterhaeuschen - so vergeht gemaechlich der Vormittag. Nach Durchqueren von elf Wagen und vierundvierzig Tueren sind wir im Speisewagen. Der Kellner zeigt einen Loeffel, also Borschtsuppe. Dann gibt es Kebab, Kaffee aus Aeroflot-Paeckchen, Kuchen. Die Rechnung? Sie wird mit flinken Fingern auf einem Rechenrahmen mit hoelzernen Kuegelchen addiert.. Gegen drei Uhr nachmittags faehrt der Express viele Kilometer lang an Gueterzuegen und Abzweigungen vorueber und, vorbei an einer ausgestellten Dampflokomotive Su, in den Bahnhof Zhmerinka ein. Gegenueber steht eine gruene Diesel-Doppellok TE10L. Waehrend unser Zug den Bahnhof nach Fahrtrichtungswechsel verlaesst, setzt sich der altmodische Dieselkoloss unter einer ungeheuren Qualmwolke an Stelle einer ChS4 vor den nachfolgenden, eben eingefahrenen Romania-Express. Er wird ihn nach Kishinev oder bis zur rumaenischen Grenze bringen, auf der gleichen Strecke durch die moldawische Flusslandschaft des Dnjestr, die mit zwei Stunden Vorsprung der Dunai-Express nach Sofia durchquert hat.

Flieder am Waldrand, Loewenzahn auf den Wiesen, Schranken neben Waerterhaeuschen, vor jedem eine Frau mit Signalstab in der Hand... Huegelland... In einer Kurve sind weit vorn zwei Diesellokomotiven zu erkennen, dunkelrote TEP60, die "unseren" Zug seit Zhmerinka in einen leichten Rauchschleier huellen. In den Wagen ist vielen jungen Leuten zu begegnen, Sportlern in Trainingsanzuegen, keinem einzigen Westtouristen. In weiten Kurven faehrt der Zug abwaerts, ueber Grasland, durch Suempfe, in die Landschaft des Bug. Khmelnitski: Am Bahnsteig gibt es eine Abschiedsszene in italienischer Sprache. Neben der Strecke sind alte 18-, 20- und 21,4-Meter-Wagen abgestellt und dazu ein deutscher Eilzugwagen. Bei jedem Halt faellt in unserem Tisza-Express der RIC-Schlafwagen durch sein Richtungsschild "Roma" auf.

Ein Storch stolziert ueber einen Acker, eine Baeuerin schlaeft im Gras, eine Familie sitzt zum Abendbrot unter einem Baum. In dem nahen Dorf steht eine orthodoxe Kapelle, die Haeuser sind mit Ornamenten geschmueckt, Scharen von Gaensen bevoelkern die Erdstraßen. Ein Junge im Seitengang winkt jemandem zu, sagt wie zur Entschuldigung "friends", und verschwindet im Abteil, weil ihm die Traenen kommen. Er war beim letzten Halt zugestiegen.

Wir muessten schon durch die einstige Grenzstation Podwoloczyska gekommen sein, die durch Roda Rodas Geschichte ueber die "Gans von Podwolotschyska" des dortigen k.k. Bahnhofsrestaurateurs bekannt geworden war. So weit hatte die Donaumonarchie gereicht... Dreiviertel sieben Uhr abends. Ein Schauer geht nieder. In einer Kurve kommt ein Zug entgegen, nass glaenzen seine Daecher. In der Eile sind eine 2M62 und zwei hellblaue tschechische unter den 17 Wagen zu erkennen, also der Express "Dukla" Prag - Moskau. Hinter Ternopol huscht ein Gegenzug in Gruen mit der alten TE3-Doppellok, "harten" und RIC-Wagen vorueber. Es muss der "Puskin" aus Belgrad und Athen sein. Ein dritter Schnellzug kommt entgegen, dieser mit roter TEP60, und ein vierter wieder mit der 2M62 - der "Slovakia" aus Pressburg mit RIC-Schlafwagen aus Wien.

Nach neun Uhr steht die Sonne immer noch als gelber Ball am Himmel - und ueber den Industrievororten von Lvov, dem frueher oesterreichischen Lemberg. Huegel, Kastanienbaeume, Wohnbloecke, Hinterhoefe und Spielplaetze - dann faehrt der Zug in die duestere Rundbogenhalle des Bahnhofs im Stil eines k.u.k. Opernhauses ein. Ein aelteres Ehepaar, das gleichermaßen russisch wie deutsch und englisch gesprochen hatte, steigt aus. Sein Gepaeck zeigt kanadische Aufkleber. Beim Koffertragen hilft ein Mann, der an beiden Armen Prothesen traegt. Gegenueber steht der gruene Zug "Lvov" nach Kiew; an unseren eigenen wird ein harter Schlafwagen Leningrad - Budapest aus einem Zug angehaengt, der mit Wagen auch nach Prag und Sofia angekommen war.

Unter der Gleichstromfahrleitung geht es in die Daemmerung hinein. Es ist vermutlich eine Doppellok der Serie VL10S vorgespannt, die am Schuppen neben Wechselstromlok der Strecke aus Zdolbunov zu sehen war. Die staerkere VL11 blieb dem Gueterverkehr ueber den "ukrainischen Semmering" nach Uzhgorod vorbehalten. Auf unserer oestlicheren Route erfolgt bald die erste Ausweiskontrolle. Draußen schlafen blaue Bauernhaeuschen. Gegen Mitternacht kommen die Konturen bewaldeter Berge ganz nah. Die Lichterschlange der achtzehn Wagen legt sich in die Kurven, fegt unter dem schmetternden Klang der Schienenstoeße ueber den Beskid-Pass und durch die Waldkarpathen...

Zwei Uhr. Lichtmachen. Kontrollen. Grenzbahnhof Chop, einst tschechisch Cop, ungarisch Czap. Die Wagen werden rangiert, auf zwei Gleise verteilt, jeweils mit mehreren Metern Abstand zwischen den Kupplungen, werden mit Elektrowinden angehoben, die Breitspurdrehgestelle rollen heraus, Brueckenkraene, welche ueber den Zuegen hin- und herfahren, heben sie an, packen von einem Haufen, als ob's Kinderspielzeug waere, Normalspurdrehgestelle und lassen diese, von nur einer einzigen Hand ausgerichtet, auf die Schienen krachen. Arbeiter bewegen sich unter den Scheinwerfern mit der Sicherheit von Artisten, alles geht unheimlich schnell, jeder Handgriff sitzt. Waehrend Krane die letzten Breitspurdrehgestelle klirrend auf einen Haufen schmeißen, werden die Wagen schon abgesenkt. Unterdessen wird kontrolliert, es heißt aufstehen, das Abteil verlassen, die Hohlraeume werden ausgeleuchtet, das Gepaeck wird durchsucht, die Geldscheine gezaehlt, jede Filmpackung wird einzeln betrachtet, das Notizbuch sorgfaeltig durchgeblaettert. Die Kontrollen dauern bis gegen fuenf Uhr frueh.

Dann setzt sich der Zug in Bewegung, an Wachtuermen, dem Grenzzaun und dem beleuchteten Todesstreifen vorueber, auf die staehlerne Bruecke ueber die Tisza oder Theiß, in der sich friedlich das Mondlicht spiegelt.

Zahony. Ungarische Diesellokomotiven sind in der Dunkelheit zu erkennen, eine M 41 und eine rote M 40, die den Express aus Chop heruebergebracht hat und links im Hintergrund stehen mehrere Paare M 62, vielleicht sogar eine große sowjetische Doppel-Diesellok. Die Bruecke ist eingleisig mit gemischter Spur, die Gleichstromfahrleitung endet in Chop.

Beim naechsten Aufwachen ist es schon hell. Wir sind in Szolnok, in der ungarischen Ebene. Um acht Uhr laeuft der Tisza-Express hinter der Wechselstromlok V 63, damals noch Prestige-Prototyp, in Budapest Ostbahnhof ein.

"Tisza" Moskva - Kiev - Budapest ( -Zagreb/ Venezia), Manoever in Budapest Keleti, September 1994 (WS)



"Dukla" Moskva - Kiev - Praha, CSD 150, Prelouc 1989 (WS)

Download this picture with 1500 x 1000 pix, 300 dpi (433 KB)


Berlin - Baltikum  "Leningrad"  Moskva - Budapest  Ost-West-Express  Trans-Sibirien  Mongolei - China  Beijing  Abschied von Hong Kong  Japan's "Ultra-fast Nozomi"  Far East High-Speed Impressions