trains-worldexpresses.com
trains-worldexpresses.com
T r a v e l s  -  R e i s e n




M o n g o l e i   -   C h i n a

Express Moskva - Ulaanbaatar - Beijing, Jablonoi Mountains (WS)


Über der Selenga geht die Sonne unter. Wir naehern uns der sowjetischen Grenzstation Naushki. Ein paar Mietshaeuser, ein Bahnhof im neoklassizistischen Stalin-Stil, viel mehr ist nicht zu sehen. Dutzende Soldaten in Stiefeln und mit Pelzmuetzen am Bahnsteig, sonst kein Mensch. Aber was ist das? Man darf sogar aussteigen, hineingehen in die kleine Halle, in den Warteraum im Stil eines zaristischen Salons, aber mit Lenin-Bild an der Wand, oder am Zug entlang laufen bis zu der blauen Dieselrangierlok TEM2, welche den Speisewagen und den Personalschlafwagen abzieht. Die Kaelte jedoch laesst schnell wieder das Abteil aufsuchen. Messerscharf steht der Berghorizont vor dem Nachthimmel. Unnatuerlich klar strahlt die Venus.

Passkontrolle, Visakontrolle, Gesichtskontrolle, Valutadeklaration, dann das Abteil verlassen, wieder Kontrolle, hermetisch ist nun der Bahnsteig abgesperrt, noch einmal geht der sowjetische Offizier durch den Zug, ein zweites mal fordern die Soldaten zum Verlassen des Abteils auf, sie breiten eine Plane ueber das obere Bett, schrauben von dort aus die Deckenverkleidung ab, leuchten in den Hohlraum, schrauben alles zu, salutieren, treten weg. Als aber einem ein Schraeubchen herabgefallen war und meine Frau es ihm reichte, hat er gelaechelt...

Abfahrt in die Osternacht am 2. April 1988, von Naushki aus am Stacheldraht entlang, alle paar Meter ein Scheinwerfer. Ein unvorsichtiger Gang aufs Örtchen laesst zurueckschrecken - durch die Waggontueren kommt schneidend kalter Wind. Sie sind offen. Und in jeder steht ein Sowjetarmist in langem Uniformmantel, mit Pelzmuetze und Kalaschnikow. Abrupter Halt. Soldaten mit scharfen Hunden suchen draußen den Zug ab. Dann faehrt er langsam an, ueber eine Scheinwerferbatterie oder Spiegel hinweg. Das war die Grenze zur befreundeten Mongolei.

Die Chinesen im Nachbarabteil spielen ungeruehrt Karten, die sie auf einer gruenen Decke ausgebreitet haben, wie in einem verruchten Spielsalon. Ein Gueterzug mit einer dunkelroten Diesellok, es muss eine mongolische TE2 sein, wartet in der Nacht. Halt vor einem Gebaeude in einer Art neugotisch-orientalischem Stil, fast kein Licht, nur krumme hoelzerne Laternenmasten: Sukhbaatar. Unsere Lokomotive rollt vorbei, offenbar eine der alten gruenen TE2 der mongolischen Eisenbahnen MTZ, dann herrscht Stille. Endlich kommt die Kontrolle, undurchdringliche Gesichter, kein Wort, Zolldeklaration auf sowjetischen Formularen. "Streng", fluestert danach einer der Chinesen.

Todmuede. Bei der Abfahrt ist es 1 Uhr 15 mongolischer Zeit. Im Mondlicht liegt bleich die zugefrorene Selenga. Sibirien, das Land, dessen Fluesse nach Norden fließen, bleibt zurueck.

Aufwachen in der monotonsten, kahlsten Landschaft der Welt: Immer gleiche graue Steppenberge unter grauem Himmel soweit das Auge reicht, kein Baum, kein Strauch, alles von dem ueberall gleichen Maeandermuster der Schneeflecken wie von einem alles umschließenden Gefaengnisgitter umzogen. Kein Auto, kein Dorf, kein Mensch... In Schleifen geht es abwaerts. An einer Ausweichstelle steht ein Gueterzug mit zwei 2M62M, das sind vier "Taigatrommeln". Dann einige Fabriken, Hochspannungsleitungen, Einfahrt in einen Bahnhof an abgestellten Reisezugwagen sowjetischen Typs vorueber, einer in Blau, andere in Gruen oder Tuerkis, einige mit der gelben Aufschrift "Narlag Mongol", einer mit dem Namen "Tsuvaa" auf dem Laufschild, alles kyrillisch beschriftet. Halt an einem stalinistisch aussehenden Bahnhofsgebaeude - Ulaanbaatar.

Mongolen, Kinder unter Pelzmuetzen, Leute mit Gepaeck draengen sich an den Waggontueren, eine Alte traegt violetten Kaftan mit Schaerpe. Darf man es wagen, zu photographieren? Im Reisefuehrer steht, dass die Polizei einem Amerikaner, der Aufnahmen machte, das Objektiv zerkratzte.


Ulaanbaatar (KS)

Mongolia (WS)

Express Moskva - Beijing, Sainshanda 1988 (WS)


Beim Ausfahren ist am Schuppen eine Gueterzugdampflok der Fernostserie Ye abgestellt zu sehen, dazu eine Feldbahnlokomotive und die TE2 in Grau. Irgendwo steht eine ZIM- oder GAZ-Limousine, die so alt ist, dass damit Molotow zur Potsdamer Konferenz vorgefahren sein koennte. Den Zug zieht wieder, wie schon zuvor, eine doppelte "Taigatrommel" 2M62M. Er faehrt durch die Schneemaeander ueber die Steppenberge aufwaerts, Kurve hinter Kurve, empor und empor, tief unten liegt das Gleis, und er taucht immer mehr in grenzenloses Weiß. Unter einer Bergkuppe umrundet er eine Radarstation, zum Greifen nahe. Selten kommt eine Ausweichstelle in Sicht, einige Haeuser nur, ein politisches Plakat in der Einsamkeit, manchmal eine Schafherde mit Hirt und Pferd, einmal eine Kamelherde, irgendwo Yurten zwischen den weißen Maeandern.

Gang zum Osterfestessen: zuerst durch den mongolischen Schlafwagen, der wie die russischen neun Vierbettabteile hat, aber mit reich verzierten Sofabezuegen, Holzimitation und "orientalischen" Teppichen viel wohnlicher ausgestattet ist, so, als ließen sich die Reisen durch die Einsamkeit anders nicht ertragen, in ein Restaurant sowjetischen Typs. Aber welch ein Unterschied, es gibt echtes Tuborg-Bier - beim Ober privat zu bezahlen, nicht auf Rechnung des Speisewagen-Betriebes TsES - gutes gegrilltes Fleisch und es wird in Dollar abgerechnet. Als Wechselgeld gibt der Kellner westdeutsche Zehnpfennigstuecke heraus.

Choir. Über den Bahnsteig blaest eisiger Wind. Auf braunem Erdboden stehen ein paar Haeuser. Schafe rennen durch die Straße. Ein Reisezugwagen des alten sowjetischen 21,4 m -Typs aus Polen ist in einer Gleisabzweigung abgestellt. Hochnebel senkt sich immer tiefer herab. Schnurgerade fuehrt das eine Gleis durch die Wueste Gobi.

Halt in Sainshand. Schneefahnen fegen ueber den kleinen Bahnhof. Hier endet zweimal in der Woche ein Wagenlauf des Zuges Moskau - Mongolei. Ein sowjetischer Stuetzpunkt? Militaerpolizei mit roten Armbinden patrouilliert ueber den Bahnsteig. Niemand wagt, eine Kamera auch nur zu zeigen. Aber der Express im Schneesturm, welch ein Motiv... Sollte man nicht doch? Vielleicht, wenn sich die Soldaten gerade im Windschatten des steinernen Gebaeudes unterstellen? Photoapparat unter der Daunenjacke, dann der geeignete Augenblick, der chinesische Schaffner schaut absichtlich weg...


Express Moskva - Beijing, MTZ Restaurant (WS)

Gobi (WS)

Siegesgefuehl, niemand sah etwas und zerkratzte das Objektiv, Grund zum Feiern im Speisewagen. Er ist zum Abendessen voll besetzt. Draußen heult der mongolische Schneesturm, drinnen parlieren Reisende aus aller Welt: eine amerikanische Gruppe, die in Ulaanbaatar zugestiegen ist, Englaender, Deutsche aus dem Ost-West-Express, und Polen, die mit legal beantragten Rubeln bezahlen. Sie bekreuzigen sich vor dem Essen und zum Abschied wuenschen sie ein gesegnetes Osterfest.

Um 21 Uhr 40 kommt der Zug in der mongolischen Grenzstation Dzamin Uud an. Nach den Kontrollen salutieren die Polizisten, schlagen die Hacken zusammen. Das war's, niemand hat die Filme herausgerissen. Soldaten leuchten mit Handscheinwerfern unter den Zug, machen die Batteriekaesten auf, suchen nach Fluechtlingen, und man darf zuschauen... In jeder windgeschuetzten Ecke des eher wie ein altrussischer Herrensitz aussehenden Bahnhofs aber steht ein Posten mit Maschinenpistole.

Unglaublich, aber dennoch wahr ist die Geschichte, die spaeter der Eisenbahnfreund Peter Konzelmann zu erzaehlen wusste: Auch er hatte damals die Dampflok Ye und dazu die TE2 am Betriebswerk gesehen und - ging hinein! Nicht etwa durch den bewachten Eingang, sondern ueber die Gleise, einfach so, und niemand fragte ihn nach einem Ausweis, einer Genehmigung. Sie muessen ihn wohl fuer einen Funktionaer aus Moskau gehalten haben und Funktionaere fragt man nicht...

Ein Gueterzug mit 2M62M kommt von "drueben". Wir fahren mit einer Stunde Verspaetung ab, vorueber an den beiden mongolischen Wagen, welche eine blaue Dieselrangierlok mit der Nummer M1269 abgezogen hat, in die Nacht hinaus. Nach wenigen Minuten ein Halt auf freiem Schneefeld, Soldaten mit scharfen Hunden suchen nochmals den Zug ab, dann Weiterfahrt am Grenzzaun entlang, durch einen Triumphbogen hindurch - wir sind in China.


Erlian (WS)

Erlian, gauge change (WS)


"We are free", "Liberty" jubeln die Chinesen im Gang, der Abteillautsprecher spielt "Der Osten ist rot", die Chinesen singen mit, wie im Triumphzug faehrt unter der Musik der Express in den bizarren, mit roten und gelben Laempchen wie zu einem Volksfest illuminierten Bahnhof von Erlian ein.

Gruen uniformierte chinesische Grenzpolizisten, Gesundheits- und Agrarkontrollbeamte passieren durch den Zug, auf die Frage "Do you have fruit?" antwortet ein Chinese "In Mongolia no fruit", allgemeines Lachen, die Atmosphaere ist entspannt. Nach den Kontrollen duerfen die Reisenden im naechtlichen Bahnhof Erlian aussteigen, einige gehen in den erleuchteten Wartesaal, andere suchen den Speisewagen, der hier bereitstehen soll.

Auf dem Nachbargleis faehrt die graue mongolische TE2, die den Express von Dzamin Uud heruebergebracht hat, leer zurueck. Dann wird der Zug rueckwaerts und wieder vorwaerts auf einem Vierschienengleis in eine zweigleisige Backsteinhalle rangiert. Alle Wagen bleiben auf demselben Gleis, werden nur auf Abstand gerollt. Wie in Brest muessen hier die Drehgestelle und die Kupplungen ausgewechselt werden. Nach vollbrachter Arbeit wird der Zug wieder in den Bahnhof gefahren.

Alles Aussteigen - eisiger Wind blaest den Schnee ins Gesicht. Niemand darf zurueck in den Wagen, einige suchen Zuflucht im Stationsgebaeude. Hier warten schon die deutschen und die polnischen Mitreisenden, sie schwaermen von dem chinesischen Essen, das sie im Speisewagen genossen haben. Endlich wieder im Abteil und - von draußen scharfes Zischen, das Beben des Gleises, fauchend faehrt ein Lokomotivkoloss, mit den hohen eckigen Kesselaufbauten unverkennbar eine QJ, vorueber unter einer Dampfwolke im mongolischen Schneesturm...

Abfahrt des Expresszuges 4 Moskau - Beijing um 2 Uhr 20 nachts am 4. April 1988. Waehrend des langsamen Anrollens werden mit Handscheinwerfern nochmals die Drehgestelle der Wagen abgeleuchtet. Ausfahrt in die Winternacht der chinesischen, der Inneren Mongolei, unter den Klaegen der Hymne aus den Stationslautsprechern...

Erwachen gegen acht Uhr morgens inmitten ockerbrauner Berghaenge. Langsam gleitet der Zug hinaus in eine wellige Ebene. Steinerne Haeuschen tauchen auf, Pferdefuhrwerke und immer mehr Radfahrer. Beim Halt in Datong wird die seit Erlian vorgespannte Diesellokomotive, eine DF 4, durch die große NY 7 ersetzt, eine Henschel-Konstruktion von Professor Kademann, mit 5400 PS einst die staerkste dieselhydraulische Lok der Welt. Waehrend des Ausfahrens beobachten auch hier Eisenbahner aufmerksam die Radsaetze - schließlich ist der Zug schon fast sechs Tage unterwegs.

Fruehstueck im chinesischen Speisewagen, von Maedchen serviert. Bekannte Gesichter sehen sich wieder, am Nachbartisch sitzen die Franzoesinnen aus dem Ost-West-Express. Im Norden liegen die Schneeberge nun weit weg und - an einem Ort namens Yang-Gao stehen Dampflok QJ, rote Raeder und schwarze Kessel glaenzen unter Dampffahnen in der Morgensonne. Wenig spaeter wird ein Kohlenzug ueberholt, der schon von der neuen Wechselstromdoppellok 8K aus Frankreich gezogen wird, daneben sind gruene chinesische Ellok der Gruppe SS in Doppeltraktion vor Gueterzuegen zu sehen. Der Express verlaesst die elektrifizierte Linie und faehrt weiter auf der einstigen Peking-Kalgan Railway. Hier verkehren die Reisezuege meist mit NY 7, einer dazu mit der hellblauen, im Raum Beijing dominierenden BJ. Nach einem kurzen Halt in Badaling geht es steil aufwaerts zwischen die Berghaenge hinein und gleich darauf in einen Tunnel. Am anderen Ende trennen sich die Gleise, der Zug windet sich auf dem linken in eine enge Kurve und - durch die Luecke einer zinnenbewehrten Mauer in einen winzigen Bahnhof, wo das Gleis an einem Prellbock endet. Hier, es ist Qinglongqiao, durchbricht die Eisenbahn die Große Chinesische Mauer.

Schwerere Zuege fahren in dieser Richtung mit je einer NY 7 vorn und hinten, aber bei unserem Express wird die eine NY 7 ans andere Ende umgesetzt. Langsam tastet er sich in einer Linkskurve abwaerts, von rechts her schließt sich wieder das Gegengleis an, das erst spaeter mit einer eigenen Spitzkehre in der Station Qinglongqiao New angelegt wurde, und beide muenden nach einem kurzen Tunnel in ein erschreckendes Gefaelle. Nur mehr mit Schrittgeschwindigkeit bewegt sich der Zug, 38 Promille zeigt eine Tafel an, das ist um die Haelfte steiler als die Gotthardbahn! In der Gegenrichtung werden die Zuege, auch der Moskauer, von zwei NY 7 gezogen, von denen eine in der neuen Spitzkehre ans andere Zugsende umsetzt. Die Strecke hat immer noch 34, dann "nur" 32 Promille Gefaelle. Ein Fanggleis fuehrt an einer Felsklippe hoch. Die gegenueberliegende Talseite besteht aus einer duesteren Bergkette, aus deren Schatten immer wieder Befestigungsmauern hervortreten. Muss das ein Schauspiel gewesen sein, als zwei Dampflok QJ, eine vorn und eine hinten, hier in Doppeltraktion die lokalen Personenzuege empor gewuchtet haben!


Chinese breakfast (WS)

Express Beijing - Moskva, Restaurant Beijing - Erlian, Nankou Pass, April 1988 (Kyriaki Soelch)



Ausfahrt in die Ebene, Halt in Nankou, der Station, deren Name der Gebirgspass traegt. Im Wagen werden die Bettdecken eingesammelt, es wird Staub gesaugt, die Teppiche werden zusammengerollt und zum Schluss wird auch noch der Flur gescheuert. Drei Uhr nachmittags, noch zehn Minuten bis Beijing, sagt der Schaffner. Er reicht das ledergebundene Gaestebuch. Der Eintrag: Man muesste das bisherige Leben abschließen, im Transsibirienexpress Wohnung beziehen und fortan fuenfzig Jahre lang zwischen Moskau und Beijing reisen, den Zug nie mehr verlassen, bis ans Lebensende. Der Schaffner bedankt sich hoeflich. Das Trinkgeld lehnt er ab.

Berlin - Baltikum  "Leningrad"  Moskva - Budapest  Ost-West-Express  Trans-Sibirien  Mongolei - China  Beijing  Abschied von Hong Kong  Japan's "Ultra-fast Nozomi"  Far East High-Speed Impressions