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T r a v e l s  -  R e i s e n




P o r t   S u d a n   E x p r e s s


'What is the name of the next station out from here?`
`Station Number One`, said a ghost.
`And the next?`
`Station Number Two and so on to Eight, I think`

"Was ist der Name der naechsten Station von Hier?"
"Station Nummer Eins", sagte ein Geist.
"Und die naechste?"
"Station Nummer Zwei, und so weiter, bis Acht, glaube ich"

aus einem naechtlichen Gespraech zwischen Rudyard Kipling und einem Geist in Wadi Halfa beim Warten auf den Zug aus Khartoum, wiedergegeben in "Letters of Travel/ The Riddle of Empire".




Al Mahdi, Khartoum (WS)


Erste Regentropfen am Rand der Wueste. Feucht riecht der staubige Boden. Das Gebaeude an einem erdigen Platz sieht aus wie eine Vorortstation, doch es ist der Hauptbahnhof von Khartoum. Englische Signale stehen im Sand. Der Beamte hinter dem Schalterfenster hat wider Erwarten ein Schlafwagenbillet nach Port Sudan, gleich fuer den anderen Tag.

Khartoum: das heißt Straßen wie in einem Dorf, niedrige Haeuser, Staub in der Luft, Staub ueberall, Gemaechlichkeit, Armut. Auf einem Gehsteig sitzt eine Mutter mit ihrem Soehnchen. Es rollt einen leeren Eimer als Spielzeug hin und her. Die Mutter streckt ihre Haende zum Betteln aus - die Finger sind verkrueppelt.

Khartoum: das heißt auch Wohnen in dem freundlichen Deutschen Club, Spazierengehen am Blauen Nil, auf der Promenade unter dem Blaetterdach uralter Baeume, Sonnenlicht, das vom Wasser gespiegelt wird, welches traege vorbeifließt, Vogelgezwitscher, Frauen mit wunderhuebschen pausbackigen braunen Gesichtern, vom Kopf bis zu den Zehen in weiße oder gelbe Chiffongewaender gehuellt, Teetrinken mit schwerem Silbergeschirr auf der Terrasse des Sudan-Hotels, Sonnenuntergang, Sehen wie am anderen Ufer des Nils die Lichterreihen angehen...

29. August 1976: In dem alten Wagen mit der Aufschrift "Sleeping Car" riecht es nach Bohnerwachs. An den Abteiltueren im Seitengang sind die Namen der Reisenden angeschrieben. Das Zweibettcoupe hat ein beigefarben ueberzogenes Sofa, einen gemusterten Teppich, ein winzig kleines Fenster mit einer gelb getoenten Scheibe, zwei Luftpropeller, welche nicht funktionieren, ein klappbares Metallwaschbecken und darunter noch ein kleines Becken fuer die Fußwaschung. Alles ist von feinem Flugsand bedeckt. Die Außenwaende dieses sicherlich vor mindestens einem halben Jahrhundert erbauten Fahrzeuges Nr.50 bestehen aus elfenbeinfarben lackierten Holzbrettchen. Ein kaum lesbares Schild gibt das Haus Gregg in Bruessel als Hersteller an.

Auf einem anderen Gleis laeuft, von Sueden kommend, eine blau mit gelb gestrichene Diesellok von English Electric mit ebenso alten Wagen ein. Es muss der Zug von Port Sudan auf der suedlicheren Route ueber Kassala nach Khartoum sein, drei Stunden verspaetet. Esel und Ziegen trotten ueber die Gleise.

Um 11 Uhr 15, nach einem Hornsignal seiner Diesellok, startet der eigene Zug, der Express nach Port Sudan ueber Atbara. Er verlaesst die frueher als Kopfbahnhof, heute als Durchgangsbahnhof betriebene Station Khartoum Central, ueberquert den Blauen Nil, ein seichtes braunes Gewaesser, auf der staehlernen Bahn- und Straßenbruecke, haelt in den noerdlichen Vorort - Spielzeug, Kaemme und Kinderwaesche werden dort am Bahnhof feilgeboten - und strebt gemaechlich hinaus in die Ebene.

Die letzten Lehmhaeuser ziehen vorueber, fast fensterlos, die Hoefe von Mauern umgeben. Der Mitreisende, ein aelterer einheimischer Herr, bringt sein Bettzeug in ein anderes Coupe. Mit groeßter Liebenswuerdigkeit macht er dem Fremden klar, dass er ihm das ganze Abteil alleine ueberlaesst, damit dieser eine bequemere Reise habe. Draußen ist jetzt nur noch braune Wueste, so weit man schauen kann.

Der Weg durch den anderen Schlafwagen zum "Buffet Car" Nr.67 fuehrt ueber offenstehende Harmonika-Übergaenge, durch die ein Unvorsichtiger auf das Gleis fallen koennte, in einen kleinen Speiseraum mit nur sechs Tischen fuer je zwei oder vier Personen. Die Fenster sind gesplittert. Die Waende waren einstmals wohl schoen getaefelt und auch die Fauteuils aus geschwungenem Edelholz verraten frueheren Glanz, doch die Stoffbezuege sind zerschlissen. Der Wagen stammt von Talbot aus Aachen, das Silber auf den Tischen kommt aus Sheffield und das Porzellan traegt das gleiche Wappen der einstigen Sudan Government Railways wie das Geschirr im Sudan Hotel.

Der Kellner in langem weißen Gewand ist ganz ruhig, er kommt nicht. Gibt es etwa nichts zu essen? Doch, mit Geduld und Freundlichkeit erklaert er: "5 minutes". Inzwischen ist der Zug zum Halten gekommen - und vor dem Fenster bietet sich ein ganz unglaublicher Anblick. Eine Reihe leerer Sitz- und Schlafwagen steht da, mit weißlichen Holzbrettchen verkleidet, davor zwei dunkelblaue Dampflokomotiven, Mikados, kalt, rostig, die Raeder schwarz, die Pufferbohlen rot, die Scheinwerfer sowie die Nummern 311 und 319 aus Messing, davor noch einmal zwei Wagen, primitive khakifarbene Vierachser, das Ganze gezogen von einer English Electric. Im Zeitalter der vereinheitlichten Intercity-Zuege begegnen einem solch phantastische Zugskompositionen nur noch im Traum (meist geht darin der Fotoapparat kaputt) oder - in der sudanesischen Wueste. Der abgelegene Ort heißt Qubba.

Zum Essen gibt es Spaghetti als Vorspeise, Fleisch mit Gemuese und hinterher einen Pudding. Niemand trinkt etwas anderes als Wasser, es scheinen nur Mohammedaner im Zug zu sein. Das ganze kostet fuenfundvierzig Piaster, rund drei Mark. Beim Gang zurueck durch die Schlafwagen spielen liebe kleine Kinder in den Korridoren. Die Erwachsenen sitzen und liegen bei offenen Tueren auf den Sofas. Aus einem der Abteile laechelt eine braune Schoene heraus, so wunderbar und freundlich.

Wieder haelt der Zug an einem verlassenen Platz. Auch diesmal wird draußen eine kuriose Sammlung weißer hoelzerner Waggons geboten, die zweite und die erste Klasse mit geraeumigen Abteilen, die dritte als Großraum, die vierte voellig offen, ohne Fensterscheiben, dazu Gepaeckwagen mit sonderbaren seitlichen Erkern, ein ockerfarbener Kuehlwagen, der kombinierte Sleeping- und Buffet Car Nr.55 sowie Neubauten aus Ungarn in Weiß mit hellgruenem Streifen, insgesamt 14 Wagen. Es muss der Schnellzug nach Karima im Norden sein, am Morgen schon in Khartoum abgefahren und mindestens drei Stunden verspaetet, der hier eingeholt wird. Jemand meint, es sei der Wadi Halfa Express. Nach ungefaehr zwei weiteren Stunden verlaesst er den Bahnhof, besetzt bis auf die Waggondaecher.

Unser Port Sudan Express aber bleibt da. Nach einiger Zeit stellt der Lokfuehrer den im Leerlauf brummenden Diesel ab. Frauen in wehenden Gewaendern setzen sich auf den Schienen nieder. Ein Mann verrichtet auf einer Zeitung sein Gebet. Manche Leute grueßen, zum Fenster hinauf, den einzigen Europaeer im Zug. Aus einem Transistor toent nasaler Gesang. Die Abenddaemmerung setzt ein.

Der Zug wartet nun schon viele Stunden hier. Wird in Port Sudan ueberhaupt noch der fest gebuchte Rueckflug erreicht werden? Langsam kommen unruhige Gedanken auf. Weiß denn niemand im Wagen Bescheid, wann es weitergeht? Doch den Leuten scheint es voellig gleichgueltig zu sein, ob und wann weitergefahren wird. Niemand schimpft, niemand zeigt ein Zeichen von Nervositaet. Viele knien nun draußen zum Abendgebet, das Gesicht nach Mekka gerichtet.

Die Station heißt Geili. Endlich kommt der freundliche Herr wieder, der in Khartoum das Abteil frei gemacht hatte. Er stellt sich als Eisenbahnbeamter vor. Die Strecke sei gesperrt und eine Draisine sei ausgeschickt worden, um ihren Zustand zu inspizieren. Der vorausgefahrene Schnellzug stehe in der naechsten Station. Der Beamte sagte auch, dass er es arrangieren koenne, bei Begegnung mit dem aus Wadi Halfa erwarteten Gegenzug nach Khartoum in dessen Schlafwagen umzusteigen, denn der Rueckflug aus Port Sudan sei nicht mehr zu erreichen.

Nach einer Stunde kommt die Draisine zurueck. Regen habe die Linie unpassierbar gemacht - ausgerechnet in der Wueste -, mehrere Wadis seien ueber die Ufer getreten und der Zug wuerde nach Khartoum zurueckkehren. Laut hupend setzt sich die Maschine, eine blaue verkleidete General Electric, an das andere Ende des Express (die roten Henschel und General Motors sind noch nicht zu sehen). Dann kommt, ebenfalls hinter einer General Electric, auch der andere Zug herein, der nach Norden haette fahren sollen.

Bei stockdunkler Nacht setzt sich unser Express in Bewegung. Gurgelnd schießt das Wasser der Wadis unter primitiven Bahnbruecken hindurch. Zum Glueck haben die Fluten hier noch nicht die Schienen unterspuelt. Irgendwann wurden Zuege in der sudanesischen Wueste schon fuer viele Wochen festgehalten...

Nach acht Uhr abends wird der Nil ueberquert. Der Schlafwagenschaffner in einer Art langem Nachthemd sammelt die Trinkwasserflaschen ein. Er lacht: "Khartoum... Tomorrow morning once again". Morgen wird es wieder versucht werden.


Mikados 319 and 311, Qubba, Sudan, August 1976 (WS)





Express Khartoum - Atbara - Port Sudan, Geili, August 1976 (WS)


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