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U g a n d a   M a i l



Garratt class 59, Nairobi 1976 (WS)

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Class 59 (WS)


Der am am Vortag mit der gleichen Maschine der Sudan Airways in Kenyas Hauptstadt Nairobi angekommene Deutsche erscheint zum Fruehstueck im Hotel bereits mit einem einheimischen Maedchen. Der Eisenbahnnarr indessen geht solo zur Besichtigung des Lokomotivdepots, pilgert zwischen alt-englischen Signalen und abgestellten Gueterzuegen hindurch zu dem heiligen Ort, ueber dem die dunklen Rauchschwaden stehen, zeigt das Permit vor, erhaelt die Erlaubnis, sich frei im Lokschuppen zu bewegen, ueberquert Geleise, steigt ueber Ausschlackgruben, geht ueber Öllachen ohne auszurutschen und klettert auf Fuehrerstaende, ohne sich den guten Anzug zu beschmutzen - denn hier ist seine Welt, hier fuehlt er sich zu Hause, hier kennt er sich aus. Was sind die ueblichen Ferienabenteuer schon gegen das Erlebnis, mit dabei zu sein, wenn auf einer unter Dampf stehenden class 59 Garratt die tosenden Ölbrenner eingestellt werden, oder in der Dunkelheit des Schuppens (mit geoeffnetem Mund, damit das Trommelfell nicht platzt) dicht an dieser damals groeßten Dampflok der Welt vorbei zu gehen, wenn sie mit schneidendem Laerm Dampf abblaest, aus den vorderen Zylindern, den rueckwaertigen, dem Sicherheitsventil, ueberall ihre Schwaden ausspeit, wenn ihre Feuerung tobt, als ob sie explodieren wolle, der Boden erzittert und Flammenschein aus dem langen Aschkasten hervorzuckt? Wo sonst noch ließe sich die einfache physische Angst aus den Kindertagen mit solch wohligem Schaudern erleben, als bei diesen Daemonen, die feurigen Drachen in finsteren Hoehlen aus der Mythologie gleich in dem schwarzen Schuppen hausen?

Unglaublich, mit den vorne und hinten arbeitenden Triebwerken und dazwischen, unter dem Kessel von fast 2.30 m Durchmesser nichts, nur dem gewaltigen Aschkasten, kommt, dunkelrot glaenzend, ein solches Schienenungeheuer vor einem Gueterzug die letzte Kurve der Strecke von Mombasa herauf. Es ist mit 252 Tonnen Dienstgewicht um die Haelfte schwerer als große europaeische Maschinen und seine Zugkraft uebertrifft die jeder Diesellok bei weitem. Andere "59", die so herrliche Namen wie "Mount Kenya" oder "Mount Kilimanjaro" tragen, stehen vor dem Betriebswerk. Ihr Pfiff ist ein harmonischer Mehrklang, in der Faerbung etwa ein tiefes "i". Und es gab den Plan von Chefingenieur Bulman fuer eine noch groeßere Garratt class 61, eine doppelte Niagara, die nicht mehr verwirklicht wurde.

Leider nur mehr Diesellokomotiven befoerdern in jenem Sommer 1976 die von Nairobi ausgehenden Reisezuege. Der "mail train" nach Mombasa, ein teil der beruehmten "Uganda Mail", wird am 8. August, wie jeden Tag gegen Abend, hinter einer gruenen Klasse 87 bereit gestellt. Die Wagen, unten braunrot und oben cremefarben gestrichen, folgen in bunter Reihung. Unter dem Bahnsteigdach wogt die Menschenmenge, Maenner mit dem elastischen Gang von Athleten, schwarze, indische und weiße Frauen, einheimische Polizisten in englischen Shorts ueber "bayrischen" Wadenstutzen und viele, viele Kinder, mit ihren weißen Augen in den dunklen Gesichtchen gewiss die sueßesten der Welt. Die Bewegungen beim Einsteigen sind nicht hektisch, sondern sanft, so sanft wie die Musik, die den ganzen Abend lang aus den Bahnhofslautsprechern kommt, melodisch und fremdartig.

Auf einer Tafel am Bahnsteig sind die Namen der Schlafwagenpassagiere verzeichnet. Vor einem Abteil, in dem die Direktion ein Bett reserviert hat, steht "Mr. Werner" angeschrieben. Der Seitengang ist angefuellt mit Europaeern, die schweizerdeutsch sprechen und als diese merken, dass "Mr. Werner" aus Deutschland stammt, ist er fuer sie zu einem "Herrn Werner" geworden. Man kommt schnell ins Gespraech nach dem Woher und Wohin - es ist eine Besatzung der Swissair auf dem Weg von Nairobi nach Mombasa. Der Flugkapitaen, grauhaarig, Senior der ganzen Gruppe, ist der andere Fahrgast im gleichen Coupe.

Um 19 Uhr, nach lautem Hupen, setzt sich der Zug mit einer halben Stunde Verspaetung in Bewegung. Vorbei an den fauchenden 59ern unter naechtlicher Beleuchtung und vorueber an den letzten einfachen Vororten geht es hinaus in die dunkle Steppe. Die Fahrt zum Indischen Ozean hat begonnen.

Der Ton des Gongs ruft zum "1st sitting" im Speisewagen auf. Beim Eintreten in das Restaurant verschlaegt es dem an Rationalisierung gewoehnten Europaeer fast den Atem: Unter den Gluehbirnen der Deckenbeleuchtung breitet sich ein Interieur wie ein nobler Antiquitaetenladen aus. Zwischen polierten Mahagoniwaenden, unten aus senkrechten Brettchen und oben aus Paneelen mit Friesen und Gesimsen gefuegt, stehen nur acht Tische mit je zwei oder vier Armstuehlen. Zu jedem Tisch gehoeren zwei Fenster, zwischen denen eine Art runde Apsis in die Wand eingelassen ist, in der sich eine Blumenvase und darueber eine Lampe befinden. Vor den Scheiben, die in hoelzernen Rahmen sitzen, haengen geraffte Vorhaenge. Auf den makellos gedeckten Tischen, zwischen den zu Huetchen geformten Stoffservietten, prangt schweres Silber. Nicht weniger als fuenf weiß uniformierte Kellner und ein Oberkellner bemuehen sich um das Wohl der Reisenden - das ist ein Angestellter fuer vier Gaeste.

Entsprechend lukullisch ist das Menu:
Cream of Asparagus
Lake Fish Meuniere
Casserole of Sirloin Steak, Parsley Potatoes, French Beans, Baby Whole Carrot
or Chicken Curry and Rice, Assorted Garnishes
Pineapple and Rhubarb Crumble, Custard Sauce
or Railway Cheese Board
Coffee.

Und dazu kommt die ausgelassene Runde der Swissair-Leute, die den Fremden mit einer Herzlichkeit in ihrer Mitte aufnehmen, als ob er selber zu ihrer Crew gehoerte. Sie genießen die Bahnfahrt waehrend einer Ruhepause in Kenya zwischen zwei Fluegen als willkommene Abwechslung und sie erzaehlen von Kollegen, welche schon von Singapore nach Bangkok oder auch durch Sibirien per Zug gefahren sind. Nur der Kapitaen kann sich nicht so recht freuen. Er hat schon so viel von der Welt gesehen, dass er jetzt lieber in seinem Garten bei Zuerich waere. "In so einer Nacht, die der Zug von Nairobi nach Mombasa braucht, fliege ich bis Europa", sagt er - worauf die Stewardessen contra geben: "Aber wir wollen ja gar nicht nach Europa..."

Der Schlummer im Schlafwagenabteil wird durch leises Zischen unterbrochen. Vor dem Fenster draußen befindet sich ein kleiner Dampflokschuppen. Es ist frueher Morgen. Dann faehrt der Zug durch lichte Savanne; gelbgruene Baeume und Straeucher stehen auf roter Erde. Ein Dorf: niedrige Huetten mit Schilfdaechern, weit auseinander gezogen, dazwischen eine weiße Kirche. Kleine Kinder winken mit beiden Haenden.

In weiten Kurven windet sich das eine Gleis nun abwaerts. Es wird waermer. Palmen, Affenbrotbaeume und mehrere Meter hohe Kakteen tauchen auf. Dann kommt zum ersten mal in der Ferne der Indische Ozean in Sicht.

Um acht Uhr morgens laeuft der "Mail Train" in Mombasa ein, einem Kopfbahnhof mit nur einem Bahnsteig. Es ist heiß. Eine Mikado der Klasse 29 zieht vom Schluss die beiden Packwagen ab. Bunt draengt sich die aussteigende Menschenmenge und wie meist in Kenya wirken die Leute heiter und gelassen. Es gibt nicht so viele verdrießliche Gesichter wie in Europa.

Mombasa zeigt ein babylonisches Voelkergemisch: indische Frauen im Sari, Maenner mit Turban, Araber im Burnus, Schwarze, auch unter ihnen Moslem, und, die geheimnisvollsten von allen, schwarze Frauen, welche von Kopf bis Fuß in schwarze Gewaender eingehuellt sind wie Frauen aus Bagdad. Kirchen, Moscheen und Hindu-Tempel stehen an den Straßen. Mancher Hauseingang ist mit Ornamenten verziert wie Haeuser in Arabien oder auf Sansibar. Die Bucht unterhalb ihrer Mauern war einmal der Hafen, von dem aus die Dauen bis Indien und Persien segelten. Auf der anderen Seite wird die Altstadt durch das Fort Jesu ueberragt, ein portugiesisches Bollwerk aus dem 16.Jahrhundert.

Zur Rueckfahrt nach Nairobi hat die Bahndirektion dem Fremden großzuegig einen Single-Platz im Schlafwagen reserviert. Bei Nacht geht es durch die Kurven auf die Ebene hinauf. In einzelnen Stationen schwenken Eisenbahner Petroleumlampen; es gibt dort kein elektrisches Licht. Rufe auf Suaheli ertoenen von draußen. Waehrend eines Haltes kommt eine fauchende Neunundfuenfzig mit einem Gueterzug entgegen. Tief liegen die Wolken ueber der Hochflaeche.

Zum Jazz der Schienenstoeße schaukelt und swingt der Speisewagen. An einem Fenster sitzt ein grauhaariger Europaeer, in Bartschmuck und Safari-Look wie einer "Camel"-Reklame entsprungen. Mit der vor sich aufgebauten Whisky-Flasche wirkt er antiquiert gegenueber dem jungen Afrika, welches durch das gegenueber am eigenen Tisch verkoerpert erscheint: eine schwarze Schoenheit, unendlich fein und zurueckhaltend, natuerlich und voll Wuerde. Sie isst wie eine Prinzessin und trinkt keinen Alkohol. Sie komme aus Uganda, sagt sie in leisem und perfektem Englisch, damals dem Reich des Idi Amin. "Und Sie sollten nicht auch dort hinfahren", raet sie in guetiger Besorgtheit...


Nairobi - Mombasa mail, Mombasa, August 1976 (WS)


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